Die Rückkehr des Wetterphänomens El Niño und die Bedeutung für Rohstoffe
Das Wetterphänomen El Niño ist wieder auf dem Radar. Laut einer neuen Prognose der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) besteht eine Wahrscheinlichkeit von 90 %, dass sich El Niño in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 fortsetzt.
Was ist das Phänomen El Niño?
El Niño/Southern Oscillation (ENSO) ist ein ozeanisch-atmosphärisches Phänomen, das auf anormale Schwankungen der Temperatur des Oberflächenwassers im mittleren und östlichen Pazifik (lateinamerikanische Küste) zurückzuführen ist. Es umfasst zwei gegensätzliche Phänomene: La Niña und El Niño – die erfahrungsgemäß alle zwei bis drei Jahre auftreten. La Niña bringt kälteres, feuchteres Wetter mit sich (Dauer: ein bis drei Jahre), während El Niño wärmeres, trockeneres Wetter bewirkt (Dauer: neun bis zwölf Monate).
Typische Auswirkungen von El Niño
Beim Einsetzen von El Niño schwächen die Passatwinde ab. Das warme Wasser nahe Asiens bewegt sich über den Pazifik zurück nach Osten zur Küste von Südamerika. Die Drift des warmen Wassers führt auch zu einer Verschiebung von Verdunstung und Regen, sodass Südostasien und Australien tendenziell trockener werden, während es in Peru und Ecuador mehr Niederschläge gibt. El Niño tritt normalerweise im Sommer auf und zeigt seine stärksten Auswirkungen im Winter auf der Nordhalbkugel. Die Merkmale von El Niño variieren jedoch je nach Zeitpunkt und Ausmaß.
Abbildung 1: Klimatische Auswirkungen von El Niño im Dezember–Februar
Quelle: National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA; Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde). Die historische Wertentwicklung ist kein Hinweis auf die künftige Wertentwicklung, und Anlagen können im Wert sinken.
Die Welt verzeichnet den heißesten Juli aller Zeiten
El-Niño-Wetterstörungen, die den gesamten indopazifischen Raum betreffen, lösen Hitzewellen und Dürreperioden aus. Deshalb dürfte das aufkommende El-Niño-Ereignis die negativen Auswirkungen des Klimawandels im asiatisch-pazifischen Raum, in Süd- und Ostafrika sowie auf dem amerikanischen Kontinent noch verstärken. Es ist also kaum verwunderlich, dass große Teile der nördlichen Hemisphäre in der ersten Hälfte des Jahres 2023 von großer Hitze und verheerenden Regenfällen heimgesucht wurden. Juli wird voraussichtlich der heißeste Monat aller Zeiten werden1; China stellte im Juli einen neuen nationalen Tagestemperaturrekord auf und wurde Anfang August von rekordverdächtigen Regenfällen heimgesucht2. Weite Teile der USA waren ebenfalls von ausgedehnten Hitzewellen betroffen, an zahlreichen Orten herrschten hohe Temperaturen3. Kanada erlebte die schlimmste Waldbrandsaison aller Zeiten, ebenso wie Teile des Mittelmeerraums.
Auswirkungen auf Agrarrohstoffe
Der Anbau von landwirtschaftlichen Erzeugnissen ist wetterabhängig. Bei einigen Nutzpflanzen könnte El Niño die Ernte verbessern, bei anderen könnte das Phänomen die Erträge schmälern. Sollte sich das Wetterereignis verstärken, könnte es ein bedeutender Katalysator für Preissteigerungen bei Kakao, Sojabohnenöl, Zucker und Getreide sein. Gleichzeitig könnte es sich negativ auf die Preise für Baumwolle und Kaffee auswirken.
Wir haben die Preise für Agrarrohstoffe in den vergangenen elf El-Niño-Episoden analysiert, die bis in die 1960er Jahre zurückreichen. In acht der letzten elf Fälle tendierten Weizen, Sojabohnenöl und Kakao sechs Monate nach Beginn von El Niño um durchschnittlich 14 %, 6 % bzw. 16 % höher. In neun der letzten elf Fälle wurden Sojabohnenöl und Kakao zu höheren Preisen gehandelt.
Abbildung 2: Preisliche Auswirkungen auf Agrarrohstoffe im Verlauf der historischen El-Niño-Zyklen
Sojabohnenöl profitiert von knappem Palmölangebot
In der Vergangenheit hat El Niño das Angebot an Agrarrohstoffen wie Palmöl, Zucker, Weizen, Kakao und Reis beeinträchtigt. Nach Angaben der lokalen Wetterbehörde Badan Meteorologi Klimatologi (BMKG) fielen im Juni 2023 auf etwa 40 % der indonesischen Ölpalmenfläche unterdurchschnittliche Niederschläge4. Die BMKG wies auch darauf hin, dass die El-Niño-Wetterlagen von schwacher bis mittlerer Intensität sind und voraussichtlich im August bis September 2023 ihren Höhepunkt erreichen werden. Die Verknappung von Palmöl wirkt sich tendenziell auf die Nachfrage nach nahen Ersatzstoffen wie Sojabohnenöl aus. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem die Eskalation der Angriffe zwischen Russland und der Ukraine auch die Versorgung mit Speiseölen aus der Schwarzmeerregion gefährdet. Die eskalierenden Spannungen und die Blockade der Schifffahrtsrouten im Schwarzen Meer werden die weltweite Versorgungslage bei Speiseöl und Getreide wahrscheinlich noch verschärfen.
Die Reisversorgung ist El Niño ausgeliefert
Das trockene Wetter bedroht die Ernten in Thailand, dem zweitgrößten Reisexporteur der Welt. Ab Anfang 2024 droht dem Land eine großflächige Dürre. Die Regierung hat die Landwirte bereits aufgefordert, in diesem Jahr nur noch eine einzige Kultur anzubauen. Während der Monsunregen die Reisfelder in Teilen Indiens (dem weltweit größten Exporteur) etwas entlastet hat, hat das Land die Ausfuhr von weißem Nicht-Basmati-Reis verboten5. Eine Verknappung auf dem Reismarkt könnte auch andere Grundnahrungsmittel wie Weizen in Mitleidenschaft ziehen.
Kakao profitiert von knappem Angebot
Die Rückkehr von El Niño begünstigt außerdem den Kakaoanbau, da das Wetterphänomen in der Regel heiße und trockene Bedingungen in Westafrika mit sich bringt. Der Kakaoanbau ist auf Afrika konzentriert, wo rund 70 % der Erzeugung angesiedelt sind. In der Vergangenheit hat El Niño zu Produktionsausfällen geführt, da das Wetterphänomen in Afrika während der wichtigsten Wachstumsperioden Trockenzeiten hervorruft.
In diesem Jahr haben Landwirte in der Elfenbeinküste, in Ghana und in Nigeria Anzeichen der schwarzen Schotenkrankheit gemeldet, bei der Kakaoschoten schwarz werden und verfaulen. Das könnte auch die Qualität beeinträchtigen oder die Bohnenproduktion einschränken. Es wird erwartet, dass der Kakaomarkt in der Saison 2023–24 zum dritten Mal ein Defizit aufweisen wird, was die Kakaopreise stützen dürfte.
Schlussfolgerung
Ein El-Niño-Ereignis ist nicht garantiert (die Wahrscheinlichkeit liegt unter 100 %), und die Stärke bzw. Dauer des Ereignisses bleibt ungewiss, aber es folgt auf einen Krieg, der den Getreide- und Ölsaatenhandel erheblich behindert hat. Die Lagerbestände vieler Agrarrohstoffe (Weizen, Mais, Sojabohnenöl und Kakao) liegen unter ihrem 5-Jahres-Durchschnitt, was das Auffangen eines Produktionsschocks erschwert6. El Niño könnte daher preisstützend für diese Agrarrohstoffe wirken.
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Quellen
1 QuelleWeltorganisation für Meteorologie.
2 Quelle Meteorologische Verwaltung Chinas.
3 Quelle Nationaler Wetterdienst der USA.
4 Quelle US-Landwirtschaftsministerium, Stand: 3. August 2023.
5 Quelle Indisches Ministerium für Verbraucherangelegenheiten, Stand: 21. Juli 2023.
6 Quelle US-Landwirtschaftsministerium, Stand: 31. Juli 2023.