Aktienanlagen im Endspurt der Inflationsbekämpfung
Die wichtigsten Erkenntnisse
- Angesichts der zunehmenden geopolitischen Ungewissheit und der Unklarheit über den Zeitpunkt von Zinssenkungen sollten Anleger auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bewertung und Ertragsrisiko achten.
- Anleger sollten sich nicht einfach auf die Glorreichen Sieben stürzen. Value-Aktien sind bekannt dafür, dass sie sowohl bei einer weicheren als auch bei einer härteren Landung tendenziell besser abschneiden, was sie zu einem wichtigen Bestandteil einer ausgewogenen US-Aktienallokation macht.
- Japanische Aktien haben viel Feuerkraft, da der Markt auf eine weitere Belebung der Wirtschaft mit steigenden Löhnen und zunehmenden Investitionen setzt.
- Die Landschaft der Schwellenländer im Wandel eröffnet zahlreiche Möglichkeiten.
Angesichts der komplexen geopolitischen Spannungen und wirtschaftlichen Ungewissheit wird die Geldpolitik auch im Jahr 2024 die Stimmung prägen und die Richtung der Aktienmärkte beeinflussen. Die Erwartungen der Anleger in Bezug auf Zinssenkungen in diesem Jahr weichen von den Äußerungen der Zentralbanken ab, was sich in einem schwierigen Zinsumfeld niederschlägt.
Abbildung 1: Wachstumsrate des Gewinns je Aktie im Kalenderjahr
Quellen: MSCI, FactSet, WisdomTree, Stand: 31.12.2023. Prognosen sind kein Hinweis auf die künftige Wertentwicklung, und alle Anlagen sind mit Risiken und Ungewissheiten verbunden.
Ertragserwartungen für die USA bleiben hoch
Die Anlegererwartungen für die Gewinne in den USA liegen bei etwa 11,4 % im Jahr 20241. Das könnte gelingen, wenn die Konjunkturdaten und der Konsum stark bleiben. Gleichzeitig könnten eine niedrigere Inflation, eine Verbesserung des Reallohnwachstums und sinkende Zinsen eine spätzyklische Erholung unterstützen. US-Unternehmen sehen sich einem möglichen Druck auf die Bruttomargen gegenüber, da die Inflation sinkt und der Boom nach der Wiedereröffnung im Dienstleistungssektor abflaut. Unternehmen aus dem Technologiesektor verfügen nach wie vor über reichlich Barmittel, während kleine Unternehmen mehr als 9 % für Betriebskapital zahlen müssen.
Der eng gefasste Bullenmarkt
Die Titel der Glorreichen Sieben weisen höhere Bewertungsmultiplikatoren auf als der Median der 493 übrigen Titel auf dem Markt (siehe Abbildung 2). 2023 war das am engsten gefasste Jahr an den Aktienmärkten seit den späten 1980er-Jahren, wobei sich die Renditen auf einige wenige Tech-Titanen konzentrierten. Vor dem Hintergrund einer schwächeren Konjunktur erwarten wir, dass die Marktführerschaft weiterhin auf wenige Titel beschränkt sein wird, wobei die großen Technologiewerte aufgrund ihrer höheren Rentabilität und starken Bilanzen gut abschneiden werden.
Abbildung 2: Vergleich der Bewertungen der Glorreichen Sieben mit dem übrigen Markt
Quellen: Bloomberg, WisdomTree, Stand: 24.01.2024. Die historische Wertentwicklung ist kein Hinweis auf die künftige Wertentwicklung, und Anlagen können im Wert sinken.
Allerdings sollten sich die Anleger nicht einfach auf die Glorreichen Sieben stürzen. Value-Aktien verdienen Beachtung. Anleger haben Value-Aktien über mehrere Jahre hinweg untergewichtet, dennoch sind Substanztitel bekannt dafür, dass sie sowohl bei einer weicheren als auch bei einer härteren Landung tendenziell besser abschneiden, was sie zu einem wichtigen Bestandteil einer ausgewogenen US-Aktienallokation macht.
Euroraum: Hoffnung auf einen Aufschwung
Europäische Aktien erzielten im vergangenen Jahr eine Rendite von 22 %2. Im Gegensatz zu den USA war die Wertentwicklung an den Aktienmärkten in Europa breiter gefächert. Aufgrund des höheren Anteils von Hypotheken und langfristigen Darlehen mit variablen Zinsen wurden die Europäer von den jüngsten Zinserhöhungen stärker getroffen.
Obwohl die Haushalte mit den Folgen höherer Zinssätze konfrontiert waren, belaufen sich ihre überschüssigen Ersparnisse derzeit auf 14 % des Jahreseinkommens, während es vor zwei Jahren noch 11 % waren3. Die Reallöhne waren rückläufig – jetzt steigen sie mit 3 % so schnell wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr und verschaffen den Verbrauchern reichlich Kaufkraft. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass das Schlimmste überstanden sein könnte und dass sich die Wirtschaftsdynamik zunehmend stabilisiert. Im Jahr 2024 dürfte das Wachstum leicht anziehen, da die sinkende Inflation die Realeinkommen ansteigen lässt, die globale Nachfrage an Fahrt gewinnt, der Abbau von Lagerbeständen in der Industrie endet und die geldpolitische Lockerung Wirkung zeigt. Vor dem aktuellen Hintergrund dürften hochwertige, wachstumsorientierte Aktien mit langer Duration besser abschneiden. Der europäische Markt geht zu einer stärker wachstumsorientierten Ausrichtung über. Innerhalb der Aktien aus Industrieländern notieren europäische Aktien derzeit im Vergleich mit der niedrigsten Bewertung (mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 13,5 x)4 und weisen zugleich eine höhere Dividendenrendite von 2,65 % auf.
Japanische Aktien haben viel Feuerkraft
Japanische Aktien schlossen das Jahr 2023 mit einem Höhenflug ab. Mehrere Katalysatoren könnten den japanischen Aktienmarkt im Jahr 2024 beflügeln: steigende Investitionen (Capex5), ein stärkeres Lohnwachstum, die Überarbeitung des Nippon Individual Savings Account (NISA) und die laufenden Initiativen für Unternehmensreformen in Japan. Die jüngsten Inflationsdaten verlangsamen sich weiter, da sich die zuvor hohen Importkosten angesichts einer schwachen Binnennachfrage im System niederschlagen.
Wir bevorzugen in Japan weiterhin dividendenstarke, wertorientierte Aktien, da sie von einem höheren Gewinnwachstum, Unternehmensreformen und dem schwächeren Yen profitieren dürften. Der Automobilsektor, der einen großen Teil des Aktienmarktes ausmacht, erholt sich weiter – die internationalen Gewinne werden durch einen schwächeren Yen begünstigt. Die Erholung der weltweiten Nachfrage im Technologiesektor dürfte Japans Exporte ebenfalls unterstützen.
Der Yen könnte 2024 aufwerten, wenn sich die Zinsdifferenz zwischen den USA und Japan verringert. Ein stärkerer Yen könnte die Besorgnis über mögliche negative Auswirkungen auf die Gewinne der japanischen Unternehmen wieder aufleben lassen. Allerdings dürfte ein starker Yen kein allzu großes Hindernis für japanische Aktien darstellen, da der Markt auf eine weitere Belebung der Wirtschaft mit steigenden Löhnen und zunehmenden Investitionen setzt. Im zweiten Halbjahr 2024 dürfte die Bank of Japan den Negativzinsen ein Ende setzen, wobei die Lohnverhandlungen im Frühjahr berücksichtigt werden. Allerdings könnten schwächere Wirtschaftsdaten eine Normalisierung der Politik verzögern.
Die Landschaft der Schwellenländer im Wandel
Unter Anlegern herrscht traditionell die Auffassung, dass die Märkte die reale Welt widerspiegeln. Für die Schwellenländer nimmt dies mit Sicherheit Gestalt an. Die alte Sichtweise der Schwellenländer als taktische Anlage, die in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit gemieden wird, passt nicht zu der Tatsache, dass sich die Landschaft der Schwellenländer im Laufe des Jahrzehnts erheblich verändert hat.
Seit der COVID-19-Pandemie hat die Neugestaltung der Globalisierung – oft als „Re-Shoring“ bezeichnet – die Landschaft des verarbeitenden Gewerbes verändert, wovon auch die Schwellenländer profitieren. Zunehmende geopolitische Spannungen und unterbrochene Lieferketten haben die Unternehmen dazu veranlasst, ihre Lieferketten näher an den eigenen Standort zu verlegen. Aufgrund seiner Nähe zu den USA hat auch Mexiko davon profitiert. Indien war aufgrund seines großen Pools an Menschen im erwerbsfähigen Alter und der niedrigeren Arbeitskosten ein wichtiger Nutznießer dieses langfristigen Trends.
Abbildung 3: Die Landschaft der Schwellenländer
Quelle: WisdomTree, Stand: 21.01.2024.
Es wird erwartet, dass die Dekarbonisierung ein wichtiger Motor für die Nachfrage nach Rohstoffen sein wird. Schwellenländer wie Südafrika, Mexiko, Chile und Brasilien dürften vom reichlichen Rohstoffangebot profitieren. Nach jahrelang unzureichenden Investitionen in den Rohstoffkomplex dürfte die Verpflichtung zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft die Nachfrage ankurbeln, da grüne Technologien rohstoffintensiv sind.
Starke Haushaltslage und Inflationskontrolle
Die Haushaltslage der Schwellenländer zeigt seit 2013 Verbesserungen: Die Leistungsbilanz übertrifft die der Industrieländer, die Verschuldung in US-Dollar sinkt und die Devisenreserven steigen. Die Zentralbanken der Schwellenländer haben sich in diesem Zyklus diszipliniert verhalten und waren bei ihren Zinserhöhungen einen Schritt voraus. Mit nachlassender Inflation dürften die Zinsen sinken, was den Verbrauchern in den Schwellenländern Rückenwind geben wird.
Auf die Lücke achten
Die Gewinnmargen der Schwellenländer befinden sich nahe dem zyklischen Tiefpunkt und haben reichlich Spielraum für einen Aufschwung. Die KGV-Bewertungen für Schwellenländeraktien liegen nach wie vor unter ihren langfristigen Durchschnittswerten, und die KGV-Lücke zu globalen Aktien ist fast so groß wie seit 20 Jahren nicht mehr6. Wir rechnen damit, dass eine Erholung der Erträge, ein schwächerer US-Dollar und eine geldpolitische Lockerung die Wertentwicklung von Schwellenländeraktien im Jahr 2024 unterstützen werden. In den Schwellenländern bevorzugen wir weiterhin die Faktoren Dividende und Wert.
Schlussfolgerung
Die langfristigen Aussichten für Aktienrenditen bleiben attraktiv. Doch nach mehr als zehn Jahren sieht sich die implizite Ertragsrendite globaler Aktien starker Konkurrenz durch Barmittel und Anleihen ausgesetzt. Jetzt da sich die Inflation beruhigt und die Erwartungen einer geldpolitischen Lockerung Gestalt annehmen, werden Aktien Anlegern jedoch die Möglichkeit geben, reale Renditen über der Inflation zu erzielen, um ihre langfristigen Ziele zu erreichen. Barmittel konnten die Inflation in den letzten zwölf Jahren leider nie schlagen. Angesichts der zunehmenden geopolitischen Ungewissheit, der Unklarheit über den Zeitpunkt der Zinssenkungen und der wirtschaftlichen Unwägbarkeiten sollten Anleger auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bewertung und Ertragsrisiko achten.
Den vollständigen Ausblick können Sie hier einsehen.
Quellen
1 MSCI, FactSet, WisdomTree, Stand: 31. Dezember 2023.
2 Wertentwicklung des EuroStoxx 600 vom 31. Dezember 2022 bis zum 29. Dezember 2023.
3 FactSet, WisdomTree, Stand: 29. Dezember 2023.
4 Bloomberg, WisdomTree, Stand: 24. Januar 2024.
5 Capex steht für Capital Expenditure bzw. Investitionsaufwand.
6 Bloomberg, WisdomTree, Stand: 31. Dezember 2023.