Indiens Bullenmarkt (Teil I): Indien steuert dank struktureller Veränderungen auf einen mehrjährigen Bullenmarkt zu
In vielen unserer bisherigen Beiträge haben wir auf die Attraktivität indischer Aktien hingewiesen. Einige Beiträge behandelten makroökonomische Faktoren, andere widmeten sich Reformen und die übrigen galten Markttrends. In diesem Beitrag gehen wir vor allem auf die strukturellen Veränderungen ein, die Indien einen mehrjährigen Bullenmarkt bescheren dürften.
Vor Kurzem sprachen wir mit Ridham Desai, Leiter India Equity Research bei Morgan Stanley. Desai sorgte unlängst für mit folgender Äußerung für Schlagzeilen: «Der Nifty kann sich in den kommenden fünf Jahren verdreifachen». Wir teilen Desais optimistischen Ausblick für Indien, und unseres Erachtens nach werden Indiens Gewinnexpansion und Mittelzuflüsse durch zwei fundamentale wirtschaftliche Veränderungen befeuert.
In diesem Beitrag gehen wir auf die erste Veränderung ein, nämlich die strukturellen Verbesserungen, die die indische Regierung in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat. In unserem nächsten Beitrag werden wir uns mit der zweiten Veränderung befassen, und zwar den steigenden Investitionen heimischer Anleger in Aktien während der kommenden Jahre. Dieses Thema wurde von Desai aufgeworfen.
Quelle: WisdomTree 30/06/2017
Bedeutende strukturelle Veränderungen von langfristigem Nutzen
In den letzten Jahren hat die Modi-Regierung das Fundament für die Umgestaltung der indischen Wirtschaft gelegt. Dazu zählen:
Restrukturierung der indirekten Steuern: Die Goods and Services Tax (GST)
- Hierbei handelt es sich um die weltweit größte Steuerreform mit weitreichenden Folgen für die Wirtschaft.
- Unter dem bisherigen bundesstaatlich geprägten Steuersystem mussten Unternehmen beim Verkauf ihrer Produkte über Bundesstaatsgrenzen eine Vielzahl von Steuern abführen. Das System war sehr ineffizient und verleitete zur Steuerhinterziehung, vor allem kleinere Unternehmen, die letzteres für einfacher hielten als die Abgabe einer Steuererklärung.
- Am 1. Juli führte Indien für seine 29 Bundesstaaten und sieben Unionsterritorien die neue Goods and Services Tax (GST) ein. Einfach ausgedrückt vereint der Staat damit die Besteuerung aller Waren und Dienstleistungen unter lediglich zwei Dächern, dem der Bundesstaaten und dem der Zentralregierung.
- Dies impliziert eine vereinfachte Steuerpolitik, die zu mehr Steuererklärungen und -prüfungen führt und für das gesamte Land maßgeblich ist.
- Die höhere Effizienz des Systems könnte der indischen Wirtschaft ein Wachstum von bis zu 1-2% bescheren.1
Landesweite Digitalisierung
- Eines der größten Hindernisse für Indiens Wachstum war seine ausufernde Schattenwirtschaft, die rund 85% des BIP von 2.4 Billionen USD ausmacht.2 Wir leben im Zeitalter der Daten, und ein Mangel an Daten erschwert die Verbesserung eines bestehenden Systems.
- Indien steht kurz davor, das Programm zur digitalen biometrischen Erfassung seiner Bürger (Netzhautscan und Fingerabdruck) namens Aadhaar abzuschließen. Aadhaar, eine persönliche Identifikationsnummer, ist für alle Bürger Indiens verpflichtend und Voraussetzung für die gesamte Interaktion des einzelnen Bürgers mit der Wirtschaft und den Behörden. Von der Eröffnung eines Bankkontos bis zur Einreichung einer Steuererklärung – überall kommt die persönliche Aadhaar-Nummer zum Einsatz.
- Für ein Land mit einer Bevölkerung von 1.2 Milliarden Menschen3 fallen daher in den nächsten Jahren Abermilliarden Datenpunkte für das auf Algorithmen basierte maschinelle Lernen an, die Indien für die Datenanalytik zu einer Goldgrube machen.
- Darüber hinaus kann die Regierung damit gezieltere Maßnahmen entwickeln, die von der Bezuschussung Bedürftiger bis zur Ergreifung korrupter Mitbürger reichen.
- Außerdem dürfte der Vorstoß zur Digitalisierung der Bankenkontrolle die Arbeit im öffentlichen und im privaten Sektor «sauberer» und transparenter machen.
Reform des Finanzsektors
- Indien hat die Liberalisierung seiner Wirtschaft vorangetrieben, indem es zahlreiche Branchen für ausländische Investoren geöffnet und diverse Reformen eingeleitet hat. Ein Bereich verdient jedoch besondere Aufmerksamkeit, der Finanzsektor.
- In den vergangenen Monaten hat die Regierung in diesem Sektor eine Vielzahl von Reformen implementiert, wie etwa die Überarbeitung des Insolvenzrechts, eine Vereinheitlichung der Obergrenzen für ausländische Direktinvestitionen (FDI) und Investitionen durch institutionelle Anleger im Ausland (FII), die Einführung der Kontopflicht zwecks Überweisung von sozialen Fürsorgeleistungen und Programme zur Bilanzbereinigung.
- Insolvenzrecht: Ermöglicht Banken im Falle sich anbahnender Kreditausfälle schnellere Ausstiegsmechanismen. Da Banken sich nun auf den Liquidationsprozess verlassen können, können sie bedenkenloser Kredite vergeben, was wiederum zu Kreditwachstum führt. Das Insolvenzrecht bietet zudem Hilfe bei der Restrukturierung notleidender Kredite. Ich erwarte mit Blick auf das gestiegene Vertrauen Kreditwachstum.
- Obergrenzen für FDI und FII: Mit der Verschmelzung der einzelnen Obergrenzen für FDI- und FII-Investitionen in Banken zu einer gemeinsamen Obergrenze hat die indische Regierung Spielraum für ausländische Investoren geschaffen, in FIIs oder liquide Aktien-/Anleihenmärkte zu investieren.
- Kontopflicht: Mit diesem Vorstoß (in Hindi: Jan Dhan Yojna) möchte die Modi-Regierung sicherstellen, dass jeder Bürger in einem offiziellen Bankensystem erfasst ist. Gemäß den vorliegenden Daten vom Januar 2017 wurden rund 270 Millionen neue Konten eröffnet, die Indiens Banken eine Geldflut von 665 Milliarden Rupien bescherte.4
- Bilanzbereinigung: Indiens Notenbank hat aktiv mit Banken zusammengearbeitet, um Stresstests durchzuführen, problematische Aktiva zu erkennen und zu restrukturieren sowie indische Banken gesünder zu machen.
Fazit
Jede der oben erwähnten Maßnahmen signalisiert für die indische Wirtschaft einen fundamentalen Wandel gegenüber der Vergangenheit. Diese strukturellen Veränderungen werden Indiens Wirtschaftsmotor ankurbeln, der gerade erst Fahrt aufgenommen hat.
Indiens Wachstum belief sich im letzten Jahrzehnt auf 6-7%, wobei lediglich 3% der erwerbsfähigen Bevölkerung Steuern zahlten, sich die Schattenwirtschaft auf 85% des BIP belief, Banken keine Hoffnung auf Eintreibung notleidender Kredite hatten und mehr als die Hälfte der Bevölkerung über kein Bankkonto verfügte. Es lässt sich leicht ausmalen, wie stark das Land wachsen wird, wenn diese Hindernisse für immer ausgeräumt sind.
Quelle
1 NCER, Morgan Stanley, per 30. Juni 2017.
2 Weltbank, per 30. Juni 2017.
3 Weltbank, per 31. Dezember 2016.
4 Indische Regierung, per 30. Juni 2017.