Steigt das Kreditwachstum in China weiterhin an?
Eine der zentralen Aspekte der Fed-Entscheidung, die Leitzinsen im September nicht anzuheben, waren deren neuerliche Bedenken um "globale wirtschaftliche und finanzielle Entwicklungen"[1]. Die US-Notenbank wies darauf hin, dass sie neben den Beschäftigungs- und Inflationszahlen in den USA nun auch ein wachsames Auge auf die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen im Ausland haben werde, womit unseres Erachtens die von China ausgehenden Probleme gemeint sind, die sich auf die Schwellenländer auswirken könnten. Die Pressekonferenz von Fed-Chefin Janet Yellen im September wirft die Frage auf, ob die Fed die Lage in China während ihrer Sitzungen Ende Oktober oder Dezember besser einschätzen kann als jetzt?
Die Beobachtung des chinesischen Aktienmarktes bereitet keine großen Probleme. Angesichts des leicht rückläufigen Lombardgeschäfts hat sich die Börse in Shanghai in den letzten Wochen wieder bei 3000 Punkten stabilisiert nach Einbußen von 40% von ihren Höchstständen im Juni. Einen genauen Einblick in die Geschehnisse der chinesischen Wirtschaft zu erhalten, gestaltet sich jedoch schwieriger. Chinas Regierung gab bekannt, dass das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) auf 7% gefallen sei, nachdem es in den vergangenen 20 Jahren im Schnitt bei jährlich 10% gelegen hatte. Andere Marktindikatoren geben noch mehr Anlass zur Sorge.
Der Caixin Manufacturing Purchasing Managers’ Index (PMI) lag mit 47.2 im September zum siebten Mal in Folge unter der 50-Punkte-Marke und deutet auf die anhaltende Schrumpfung der riesigen Fertigungsindustrie des Landes hin. Auch Chinas Importe und Exporte sind im Vorjahresvergleich gesunken. Der Rückgang des Kupferpreises um fast 25% innerhalb der letzten zwölf Monate ist ein Indiz dafür, dass die Nachfrage im chinesischen Industrie- und Bausektor nachlässt, da ja bekanntlich etwa 40% des weltweiten Kupferverbrauchs auf das Land entfallen.
Auch die Nachfrage nach bestimmten importierten Agrarrohstoffen ist rückläufig. So führte das bevölkerungsreichste Land der Welt im August 25% weniger Zucker als im Vorjahreszeitraum ein, woraufhin die Zuckerpreise auf ein seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr erlebtes Niveau sanken. Diese Faktoren beeinträchtigen Unternehmen und Länder, die wegen ihrer Exporte von China abhängig sind, vor allem diejenigen aus den aufstrebenden Märkten.
Die stete Talfahrt der Währungen vieler rohstoffexportierender Nationen hat dem globalen Finanzsystem ein neues Maß an potenzieller Instabilität beschert. Der aktuelle Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Kreditaufnahme in den Schwellenländern besagt, dass die Unternehmensschulden (in USD) in diesen Volkwirtschaften von USD 4 Billionen im Jahr 2004 auf inzwischen über USD 18 Billionen gestiegen sind.[2] Darin liegt unseres Erachtens einer der Gründe, warum der IWF in seiner Funktion als weltweiter Kreditgeber letzter Instanz die Fed in den letzten Monaten vor einer Zinsanhebung gewarnt hat. Die Verschuldung der Schwellenländer in USD – und damit das Potenzial einer weiteren Aufwertung des USD ggü. ausländischen Währungen – stellt ein weiteres Risiko dar, das die Fed berücksichtigen sollte, wenn sie eine Erhöhung der Leitzinsen in Erwägung zieht.
Für US-Anleger stellt sich nun die wichtige Frage, wie erfolgreich China seinen Wandel von einem investitionsgetriebenen Land zu einer Volkswirtschaft vollzieht, deren künftiges Wachstum stärker durch heimischen Konsum bestimmt wird. Auskunft darüber gibt das Kreditwachstum, vor allem die Darlehenstätigkeit, die die Konsumausgaben der Privathaushalte befeuert. Ein Blick auf die jüngsten TSF-Daten (Total Social Financing) gibt Aufschluss über die Kapitalaufnahme in der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. Wir kommen nach Analyse der nachfolgenden detaillierten Aufstellung zu folgenden Schlüssen.
Darstellung des Total Social Financing in China ( Renminbi (RMB), in Mrd.)
Die gesamte Kapitalaufnahme im August 2015 lag bei RMB 1.08 Billionen und damit 13% über dem Vorjahreszeitraum und 50% über dem Vormonat. Sie liegt zwar immer noch unter dem Durchschnitt der letzten zwölf Monate (LTM), es zeichnet sich jedoch scheinbar ein steigender Wachstumstrend ab. Die Darlehensvergabe der Banken an die Realwirtschaft machte mit RMB 776 Milliarden den Großteil des Kreditwachstums aus. Das jährliche Wachstum von 10% bei "Darlehen in Landeswährung" (einschließlich der Darlehen an Finanzinstitute außerhalb des Banksektors) signalisiert, dass sich die Vergabe neuer Bankdarlehen innerhalb des Landes trotz des sonstigen Abschwungs der chinesischen Wirtschaft auf breiter Front recht gut gehalten hat.
Das Kreditwachstum im Schattenbankbereich hat nachgelassen – durch Banken initiierte Kreditgeschäfte zwischen Unternehmen (Entrusted Loans), Treuhandkredite und Bankakzepte eingeschlossen. Die Kreditvergabe in diesem Segment sank im August um RMB 6 Milliarden nach einem heftigen Rückgang von RMB 208 Milliarden im Juli. Mit anderen Worten: Während die Mittelaufnahme in den letzten zwölf Monaten insgesamt rückläufig war, entwickelt sich das traditionelle Bankkreditgeschäft in Anbetracht eines Rückgangs bei Neukrediten innerhalb des Schattenbanksystems weiterhin erfreulich.
Unterm Strich wirkt sich dies vermutlich positiv auf die Transparenz und Regulierung des chinesischen Bankensystems aus. Das Emissionsvolumen von Unternehmensanleihen fiel im August mit RMB 288 Milliarden erneut stark aus. Das entspricht einem Anstieg von 49% ggü. dem Vorjahresmonat. Auch die Emissionen chinesischer Unternehmen stimmen optimistisch. Sie deuten auf eine zukünftig möglicherweise bessere Mischung bei der Kapitalaufnahme in China hin, die zur Verringerung des Konzentrationsrisikos für das gesamte Kreditsystem beitragen könnte.
Monatliche Kreditvergabe (Mrd., RMB) und Wachstum (YoY, %) in China, Januar 2000 bis August 2015
Schlussfolgerung
In einer durch Kapitalabflüsse aus China geprägten Zeit, in der Anleger sichere Häfen außerhalb des Landes suchen, ist es wichtig, dass das Kreditwachstum im privaten Sektor des Landes weiter zunimmt und heimische Verbraucher und Unternehmen nach wie vor mit Kapital versorgt werden. Die jüngsten Zahlen deuten darauf hin, dass die Nettovergabe von neuen Bankkrediten in China während der letzten Monate leicht gestiegen ist. Ein Augenmerk sollte daher auf das Kreditwachstum der Privathaushalte sowie die Verbraucherausgaben als Anteil an Chinas BIP gerichtet werden. Die Transformation der chinesischen Wirtschaft wird voraussichtlich mehrere Jahre dauern. Auf kurze Sicht stellen hingegen der Bodenbildungsprozess der chinesischen Börse und das erneute Kreditwachstum im Reich der Mitte zwei aussagekräftige Aspekte dar, anhand derer sich die Stabilisierung der weltweiten Wirtschaftslage beobachten lässt. Anleger, die derselben Meinung sind, könnten sich möglicherweise auch für folgende OGAW-ETFs interessieren:
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Sämtliche Daten stammen von WisdomTree Europe und Bloomberg, sofern nicht anders angegeben. Stand der Daten vom 05/10/2015.